Umsetzung der Corona-Maßnahmen in Pflegeheimen – worauf kommt es an?

Die Umsetzung der Corona-Maßnahmen stellen die Pflegeheime weiterhin vor große Herausforderungen.
Astrid Lichtner ist Dozentin für Qualitätsmanagement an der AK-Wiso und arbeitet auch als Qualitätsmanagementbeauftragte und Hygienefachkraft in einer Pflegeeinrichtung. In dem Expertengespräch mit der AK-Wiso geht es um die Fragen der praktischen Umsetzung von Corona-Maßnahmen in den Einrichtungen der stationären Altenpflege.


AK-Wiso: Wer ist grundsätzlich verantwortlich für die Umsetzung der Corona-Maßnahmen und des Hygienekonzeptes in einer Pflegeeinrichtung?

A.L: Grundsätzlich verantwortlich ist immer die Einrichtungsleitung. Sie delegiert die Aufgabe dann an die Pflegedienstleitung bzw. Abteilungsleitungen und bedient sich bestenfalls noch einer weiteren Stelle, der Stabsstelle der Hygienebeauftragten, sofern diese Stelle vorhanden ist.

Im Falle der Pandemie – eine Situation, für die es keinerlei Erfahrung gab – ist es von Vorteil, eine Steuerungs- oder Lenkungsgruppe zu etablieren. Dies ist nötig, da es hier nicht mehr nur um die Umsetzung von Hygienekonzepten in der Pflege geht, sondern die gesamte Pflegeeinrichtung betroffen ist. Es müssen wichtige Entscheidungen getroffen und Strukturen und Abläufe betrachtet werden. Das geht nur gemeinsam mit den betroffenen Abteilungen und Mitarbeitern. Eine allgemeingültige Lösung gibt es hier nicht, die Konzepte müssen einrichtungsspezifisch entwickelt werden.

AK-Wiso: Wer sollte in diese Arbeitsgruppe mit eingebunden sein?

A.L: Auf jeden Fall die Einrichtungsleitung, die verantwortliche Pflegefachkraft, eventuell die Leitungskräfte der jeweiligen Bereiche, die Mitarbeitervertretung und natürlich der oder die Hygienebeauftragte.

AK-Wiso: Was sind aus Ihrer Sicht die allerwichtigsten Maßnahmen, um einer Corona-Infektion und ihrer Verbreitung in Pflegeeinrichtungen vorzubeugen?

A.L: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Ich muss hier etwas ausholen. Grundsätzlich spielt die „Basishygiene“ eine große Rolle. Wie wird Hygiene in der Einrichtung gelebt?   Wie sieht eine Einrichtung die Wertigkeit der Hygienevorgaben? Verfügt die Einrichtung über ein Hygienemanagement? Je besser die Basishygiene implementiert ist, umso problemfreier können die pandemiebedingten Zusatzmaßnahmen greifen.

Diese zusätzlichen Aufgaben und erweiterten Hygienevorschriften sind für sich schon herausfordernd in der Umsetzung. Schwierig wird es dann natürlich, wenn sich in so einem Krisenfall herausstellt, dass die Basishygiene nicht funktioniert und jetzt noch an der Compliance der Mitarbeiter gearbeitet werden muss. Ein weiterer wichtiger Baustein ist der oder die Hygienebeauftragte, der über die erforderliche Fachkompetenz verfügen sollte, um die Steuerungsgruppe gut zu beraten und bei Entscheidungen unterstützen zu können. Der dritte Baustein ist die frühzeitige Ausrichtung an einem Pandemieplan. Diese Pläne standen landesspezifisch zur Verfügung.

Für die hygienischen Maßnahmen gab es die Pläne des RKIs. Anhand dieser Pläne konnte die Einrichtungsleitung dann vorausschauend Maßnahmen ergreifen. Viel hängt natürlich auch davon ab, inwieweit eine Einrichtung grundsätzlich bereit ist, für den Aufbau von Hygiene-Kompetenz und des Hygiene-Managements Ressourcen bereit zu stellen. Aber auch mit einem noch so guten Hygienemanagement bleibt ein Restrisiko einer Infektionsverbreitung. Das lässt sich nicht ganz ausschließen.

AK-Wiso: Gibt es im Hinblick auf die Hygiene ein Best-Practice-Konzept?

A.L: Leider gibt es keine Kurzanleitung und auch kein Best-Practice-Konzept für die Corona-Hygiene-Maßnahmen in Pflegeheimen. Was gemacht werden kann und muss ist von Pflegeeinrichtung zu Pflegeeinrichtung sehr unterschiedlich. Es gibt Vorgaben der jeweiligen Stadt, die landesspezifischen Verordnungen, Veränderungsverordnungen, die Testverordnung, die Impfstrategie, den Arbeitsschutzstandard, die RKI-Richtlinien etc. Zusätzlich gibt es dann noch die Anforderungen der Bewohner, der Angehörigen und Zugehörigen sowie der Mitarbeiter.

All das muss berücksichtigt und angepasst werden. Das erfordert im Rahmen der Gegebenheiten, den bestmöglichen Schutz für alle Beteiligten zu erarbeiten. Ganz wichtig sind dabei selbstverständlich die Bewohner mit ihrer jeweils individuellen Situation.  

Wie gelingt es, trotz aller erforderlichen Corona-Maßnahmen ihre Lebensqualität zu sichern?Wie gestalte ich die Betreuung im Rahmen der Hygienemaßnahmen?Wie gestalte ich die Besuche?
All das muss individuell geklärt und umgesetzt werden. Hier muss ganz flexibel auf bestimmte Bedarfe der Bewohner reagiert werden. Wenn ich z.B. sehe, es geht einem Bewohner schlecht, dann kann in diesem Falle die Besucherregelung auch angepasst werden. In so einem Fall dann natürlich auch mit einem angepassten Kontrollkonzept. Diese Flexibilität haben die Einrichtungen.

AK-Wiso: Wie ist die Finanzierung geregelt? Welche Maßnahmen finanziert der Staat?

A.L: Hier wurde ein „Rettungsschirm Pflege“ eingerichtet. Der Mehraufwand im Zusammenhang mit der Pandemie kann darüber geltend gemacht werden. Der Staat unterstützt hier finanziell sehr massiv. Das muss man wirklich sagen. Die Pflegeeinrichtungen müssen natürlich den Mehraufwand erfassen und ihn nachweisen. Hierfür sind dann auch wieder zusätzliche personelle Ressourcen erforderlich. Diese zusätzlichen Personalressourcen bereitzustellen, stellte und stellt auch weiterhin die Einrichtungen vor ein großes Problem.

AK-Wiso: Hygienemaßnahmen werden von Pflegefachkräften auch vor Corona oft als Last empfunden. In der Pandemie werden jetzt noch mehr Maßnahmen gefordert. Diese Zeit geht dann auch bei der Betreuung der Bewohner verloren. Das ist eine große Belastung für die Pflegefachkräfte. Wie lässt sich das auffangen?

A.L: Das ist vollkommen richtig. Wie fange ich so etwas auf? Das geht nur mit großem Engagement im Bereich der Kommunikation und Information. Es ist sehr wichtig, hier für Transparenz zu sorgen, das heißt die Mitarbeiter immer wieder zu informieren und sie einzubinden. Die Leitungskraft oder Hygienebeauftragte muss immer wieder auf den Wohnbereichen Präsenz zeigen und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das erfordert, nicht nur irgendwelche Infoschreiben auszuteilen, sondern vor Ort zu gehen und immer wieder nachzufragen: Wie kommt ihr zurecht? Braucht ihr irgendetwas? Darüber hinaus ist es wichtig, den Mitarbeitern klare, nachvollziehbare Handlungsanweisungen an die Hand zu geben, wie z.B. eine klare Regelung zum Umgang mit den Masken. Nur weil grundsätzlich Maskenpflicht besteht, bedeutet dies nicht, dass jede Pflegekraft die Maske acht Stunden am Tag ununterbrochen tragen muss.

Es gibt hier auch Vorgaben über den Arbeitsschutzstandard. Die Aufgabe der Leitungskräfte ist es auch hier, Ängste zu nehmen, immer wieder zu kommunizieren, präsent zu sein und als Vorbild zu fungieren. Auch Anerkennung für die Leistung zu äußern sowie Aufmerksamkeiten wie Obstkörbe, ein Mitarbeiter-Frühstück oder ein wertschätzendes Danke-Schreiben seitens der Einrichtungsleitung können hilfreich sein.

AK-Wiso: Für Menschen mit Demenz sind die Auswirkungen der Pandemie noch einmal schwieriger. Gewohnte Strukturen fallen weg oder verändern sich. Wie ist hiermit umzugehen?

A.L: Ja, ich halte es für wichtig, immer individuell den Einzelfall zu betrachten. Ich muss dann vielleicht die Strukturen anders gestalten. Darin kann auch eine Chance liegen, mal einen anderen Weg zu gehen. Ich weise immer wieder darauf hin, dass es trotz aller Verordnungen auch die Freiheit gibt, individuell im Sinne der Bewohner zu entscheiden. Wenn ich z.B. erkenne, ein dementer Bewohner hat ein Problem, wenn ich eine Maske trage, dann kann ich auf Abstand achten und die Maske dann auch einmal abnehmen. Hier kann die Pflegekraft durchaus eine eigene Risikoeinschätzung durchführen und fachkompetent handeln, ggf. in Rücksprache mit der Wohnbereichsleitung oder der PDL, anstatt sich stur an der Verordnung auszurichten.

AK-Wiso:Es ist vielleicht in der Praxis für die Pflegefachkräfte nicht immer ganz einfach, abzuwägen, was darf ich und was darf ich nicht. Wie könnten denn die Pflegefachkräfte hier unterstützt werden?

A.L: Ja, hier kommen in der Praxis natürlich immer wieder Fragen von Pflegekräften, die unsicher sind, was darf ich, was darf ich nicht. Wir handhaben das bei uns daher so, dass wir immer wieder mit den Pflegekräften darüber sprechen. Die Fachkompetenz, um das Risiko einzuschätzen, bietet ein qualifizierter Hygienebeauftragter in Zusammenarbeit mit den Führungskräften. Dann kann gemeinsam festgelegt werden, welches Risiko können wir hier eingehen. Ich bin gegen das Gießkannenprinzip nach dem Motto, wir haben eine Verordnung und die müssen wir jetzt buchstabengetreu umsetzen. Das ist nicht immer angebracht. Es gilt hinzusehen, was im individuellen Fall gerade wichtig ist, dann gibt es mit Sicherheit auch Lösungen. Zum Beispiel: Singen ist nicht erlaubt – es spricht allerdings nichts dagegen mit zwei bis drei Bewohnern an die frische Luft zu gehen und mal draußen ein Lied zu trällern.

AK-Wiso: Ist es möglich ein Best Practice Projekt hier zu definieren? Vielleicht anhand von Beispielen zu sagen, in den und den Bereichen kann man das so und so kreativ umsetzen? Könnte man sich so etwas vorstellen?

A.L: Ein Pandemieplan bietet hier eine sehr gute Basis und Orientierung. Grundlage ist die bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Über die Steuerungsgruppe und die Leitungen werden die Pflegekräfte begleitet und unterstützt. Oft muss durch Pflegekräfte ein Problem erst einmal konkret benannt werden, um dann gemeinsam im Team eine Lösung zu finden. Also einfach zu sehen, ich habe hier ein Problem und das gehen wir nun gemeinsam an. Hier spielt es gar keine Rolle, um welche Thematik es sich handelt. Alles das, was wir im Hinblick auf Management an der AK-Wiso unterrichten, ist hier wichtig: Mitarbeiter-Themen aufgreifen, gemeinsam diskutieren und Lösungen entwickeln. Ein lösungsorientiertes Vorgehen z.B. anhand des PDCA-Zyklus kann ich hier sehr empfehlen. Und auch immer wieder den Blick auf die Chancen zu richten, die eine Situation bietet. Das ist für mich generell Best-Practice.

AK-Wiso: Liebe Frau Lichtner, herzlichen Dank für das Gespräch!

März 2021