Dilemma Corona-Impfung bei Pflegefachkräften: Impflicht ja oder nein?

Muss ich mich als Pflegefachkraft gegen Covid-19 /Sars-Cov2 impfen lassen?
Kann mich mein Arbeitgeber zu einer Corona-Impfung zwingen?
Wenn ich Pflegedienstleitung oder Einrichtungsleitung bin, wie gehe ich mit dem Thema Impfung als Arbeitgeber um?  

Der AK-Wiso-Dozent und Pflegesachverständige Thorsten Müller beantwortet in dem Interview die brennenden Fragen von Pflegefachkräften und Leitungskräften in der Pflege zum Thema Corona-Impfung.


P.W.: Herr Müller, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kooperationspartner, dem Rechtsanwalt Jan Schabbeck eine virtuelle Fragestunde zum Thema „Arbeitsrecht und Corona“ angeboten. Dabei ging es vor allem um die Frage „Müssen sich Pflegefachkräfte impfen lassen?“ Wie ist hier die rechtliche Situation?

T.M.: Ja, die brennendste Frage der Pflegefachkräfte ist derzeit, was passiert, wenn ich mich nicht impfen lassen will? Grundsätzlich gibt es natürlich keine Impfpflicht. Jeder kann selbst bestimmen, ob er sich impfen lassen will oder nicht. Und so gilt erst einmal aus Sicht des Arbeitsrechtes, sich nicht impfen zu lassen, ist per se zunächst einmal kein Kündigungsgrund. Doch jetzt kommt das große „Aber“ für Pflegefachkräfte, denn hier ist die Lage komplexer:

Für das Gesundheitswesen gilt der § 23a des Infektionsschutzgesetzes. Dort werden die Arbeitgeber verpflichtet, bei Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses zu prüfen, ob die Bewerber den Impfstatus haben, der seitens der Einrichtung definiert wurde. Das gilt sowohl für Masern und Grippe wie auch für Covid-19. Arbeitgeber im Gesundheitswesen sind dazu verpflichtet. Wen ich mit dieser Prüfung beauftrage, obliegt meinem sogenannten Direktionsrecht. Das kann ein Arbeitsmediziner, die Personalabteilung oder die Pflegedienstleitung sein. Hier gilt ganz klar: Der Arbeitgeber ist verpflichtet sicherzustellen, dass die Bewerber keine Gefahr für die Bewohner und Patienten wie auch für die Kolleg*innen darstellen. Daher können auf Basis des § 23 a Infektionsschutzgesetz zukünftig nur Bewerber*innen eingestellt werden, die gegen Corona geimpft sind und Kollegen die schon dabei sind können nur noch eingeschränkt eingesetzt werden. Wenn der Arbeitgeber sie gar nicht mehr beschäftigen kann, dann kommt eine Freistellung in Betracht – wohl ohne Vergütung.

P.W.: Welche Rolle spielt die Frage der Haftung von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser im Zusammenhang mit der Covid-19-Impfpflicht?

T.M: Hier wird die Thematik der Corona-Impfung noch ernster. Erst einmal gilt für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, dass sie die Patienten und Bewohner vor allen Gefahren schützen müssen. Und zwar vor allen Gefahren, die für sie beeinflussbar sind. Das gehört zu der Fürsorgepflicht. Wenn eine Einrichtung nicht alle erforderlichen Schutzmaßnahmen durchführt, geht sie in die Haftung. „Garantenpflicht“ ist hier der Fachbegriff.

Machen wir mal ein Beispiel: Der Mitarbeiter kommt und ist wissentlich infiziert mit Grippe oder SARS-Cov-2 und steckt einen Bewohner an. Dann hat auch der Mitarbeiter ein Problem. Er hat letztendlich eine Körperverletzung begangen. Hier ist dann die Frage, ob das schon durch das billigende In Kauf nehmen einer Ansteckung Vorsatz ist. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung kann man rechtlich belangt werden. Dafür muss natürlich auch die Kausalität klar sein, dass dieser Mitarbeiter diesen Bewohner oder Patienten angesteckt hat.

In diesem Fall greift außerdem zusätzlich das sogenannte Organisationsverschulden. Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz Infektion hat arbeiten lassen und damit billigend in Kauf genommen hat, dass er Patienten ansteckt, ist er mit haftbar.

Das bedeutet, der Patient oder Bewohner hat Anspruch auf Schmerzensgeld und / oder Schadensersatz, was der Träger bezahlen muss. Das übernimmt erst einmal die Haftpflichtversicherung. Die wird jedoch dann auch die Prämien anpassen oder bei einer Häufung von Fällen den Vertrag kündigen.

Das bedeutet, wir haben über das Infektionsschutzgesetz, über das Haftungsrecht und über die Haftpflichtversicherer erhebliche rechtliche Probleme. Arbeitgeber müssen also sehr genau aufpassen, welche Mitarbeiter*innen sie mit welchem Impfstatus wann und wo einsetzen. In letzter Konsequenz führt das dazu, von den Mitarbeitenden zu fordern, dass sie sich impfen lassen oder sie können sie nicht in der Pflege einsetzen.

P.W.: In wie weit können Pflegefachkräfte rechtlich selbst belangt werden?

T.M.: Für Mitarbeiter kann es zu einer strafrechtlichen Problematik kommen, wenn sie wegen Körperverletzung angezeigt werden. Der Strafrichter entscheidet, war das Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz. Je nachdem wie das ein Richter auf Basis eines Sachverständigengutachtens einordnet, droht eine Geldstrafe. In schweren Fällen ist sogar eine Freiheitsstrafe möglich.

Zivilrechtlich und arbeitsrechtlich kommt sogar in Betracht, dass der Arbeitgeber sich zumindest einen Teil des Schadens beim Arbeitnehmer „holt“. Das ist dann möglich, wenn von mindestens grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers auszugehen ist – wir meinen, dass das so ist.

P.W.: Gibt es schon solche Fälle, die vor Gericht entschieden wurden?

T.M.:Meiner Kenntnis nach nicht. Dazu ist die Fragestellung noch zu jung. Auch die Unsicherheit ist noch zu groß, wie sich hier rechtlich zu verhalten ist. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass sich Betroffene oder Angehörige entscheiden, Strafanzeige zu stellen, wenn sie den Verdacht haben, dass fahrlässig gehandelt wurde. Ich kenne ein Pflegeheim, wo es die ersten Anzeigen gab. Angehörige zweifeln an, dass die Einrichtung alles unternommen hat, um die Bewohner zu schützen. Hier geht es um die Frage, haben sich die Mitarbeiter hygienisch korrekt verhalten sowie auch um die Frage, hat die Einrichtung alles getan, damit Infektionen nicht hereingetragen werden. Hier ermittelt dann die Staatsanwaltschaft.

P.W.: Also kann man zusammenfassend sagen: Wer in der Pflege arbeiten will und für Patienten- und Bewohnersicherheit sorgen will, muss sich impfen lassen.

T.M.: Absolut richtig. Wir haben keine Impfpflicht, aber, wenn wir alle Rahmenbedingungen betrachten, mit Haftung und Fürsorgepflicht, kommen wir in der Pflege um eine Impfung gar nicht herum. Wenn ich in der Pflege oder im medizinischen Bereich arbeiten will, muss ich meine mir anvertrauten Klienten schützen. Und dies erfordert eine Impfung gegen SARS-Cov-2.

P.W.: Viele Pflegefachkräfte haben jedoch große Bedenken, sich impfen zu lassen. Wie sollten die Arbeitgeber und damit die Pflegedienstleitungen bzw. Einrichtungsleitungen mit diesem Thema umgehen?

T.M.: Ich verstehe die Bedenken meiner Kolleg*innen gegen die Impfung nicht so ganz. Leider kursieren in den sozialen Medien dazu viele Gerüchte und Unwahrheiten, die verunsichern. Hinzu kommt, viele Pflegefachkräfte fühlen sich durch FFP2-Masken und Schutzkleidung ausreichend geschützt. Aber die Erfahrung zeigt, das reicht eben nicht aus. Von Mitarbeitern und Besuchern geht die größte Gefahr für die Bewohner*innen in den Altenheimen aus. Deshalb muss hier schnellstmöglich eine hohe Durchimpfung stattfinden.

Ich empfehle auch den Leitungskräften, Ängste und Desinformationen aufzufangen, indem sie die Mitarbeitenden objektiv unterrichten, was die Covid-Impfungen im Körper bewirken. Dazu gibt es sehr gute und seriöse Filme auf Youtube.

P.W.: Lieber Herr Müller, herzlichen Dank für das offene Gespräch!

 

25.2.21