Corona & Pflegeeinrichtungen: Interview mit Thorsten Müller

Wie können Pflegeeinrichtungen mit den Herausforderungen durch die Corona-Pandemie umgehen? Ein Interview mit dem Pflegesachverständigen Thorsten Müller.

 

Der Corona-Virus stellt die Pflegeeinrichtungen vor ganz besondere Heraus­forderungen. Die Bewohner und Kunden der stationären und ambulanten Altenpflege sind durch den Sars-Cov-2 Virus besonders gefährdet. Unser Dozent Dipl. Pflegewirt Thorsten Müller, kennt und berät als zertifizierter Pflegesachverständiger viele Pflegeinrichtungen. Im Interview mit Petra Weber, der Leitung der AK-Wiso, schildert er seine Eindrücke und gibt Tipps, wie Pflegeinrichtungen mit dem Corona-Virus gut umgehen können.

Was sind die großen Herausforderungen für die Pflegeheime durch Corona?

Thorsten Müller: Als die erste Welle durch die Einrichtungen hinweggezogen ist, hatten wir alle das Problem, dass nicht ausreichend Schutzmaterial da war. Die Einrichtungen hatten keine Lagerbestände. Wir sind in Deutschland verwöhnt. Wir bestellen etwas und am nächsten Morgen ist es da. Plötzlich war der Markt leer und die Produkte mussten sehr teuer eingekauft werden oder waren überhaupt nicht zu bekommen. Dadurch brach eine große Unruhe bei den Pflegekräften aus, da der Eigenschutz gefährdet war. Das war das größte Problem überhaupt.

Das zweite Problem war, die Mitarbeiter*innen und die Patienten wurden nicht getestet. Man wusste nicht, ob sie infiziert waren oder nicht. Es gab Initiativen z. B. vom Klinikum Ludwigshafen und deren Pflegeheime. Dort wurden alle getestet, die Mitarbeiter und die Patienten. In anderen Einrichtungen damals leider nicht. Z. B. in Brandenburg sollen alle Mitarbeiter in Altenheim und Behinderteneinrichtungen kostenlos getestet werden. Die Kollegen entnehmen die Proben selbst.

Ihre Empfehlungen sind also regelmäßige Tests?

Thorsten Müller: Ja! Testen, testen, testen. Wenn eine Mitarbeiterin aus dem Türkei-Urlaub (Risikogebiet) zurückkommt, nicht getestet wird und positiv sein sollte, werden alle anderen der Gefahr einer Infektion ausgesetzt. In den Altenheimen leben bekanntlich Risikopatienten. Deshalb: Testen, testen, testen. Es müssen dringend die Vorgaben des RKI eingehalten werden. Ein weiteres Problem war das Misstrauen und der Unmut der Bewohner*innen und Angehörigen, die nicht verstanden haben, was vor sich geht.

Was empfehlen Sie den Pflegedienstleitungen oder den Einrichtungsleitungen in der stationären Pflege jetzt zu tun?

Thorsten Müller: Schauen, dass genügend persönliche Schutzausstattung vorhanden ist. Die Hygienerichtlinien müssen strikt eingehalten werden und die Einrichtungsleitungen müssen darauf achten, dass die Pflegekräfte die AHA-Vorgaben einhalten: Abstand halten, Hygiene (Händedesinfektion), Mundschutz. Genauso wie wir das in der Ausbildung gelernt haben. Regelmäßige Hygieneschulungen sollten stattfinden. Als nächstes sollte für Gesundheitseinrichtungen ein Pandemieplan vorliegen. Dessen strikte Umsetzung ist dann wichtig.

Und die ambulanten Pflegedienste? Was ist hier im Hinblick auf Corona zu beachten?

Thorsten Müller: Hier gilt das gleiche wie in den stationären Pflegeeinrichtungen: Die Schutzkleidung muss ausreichend vorhanden sein.

Wie werden die Zusatzkosten für die Pflegeinrichtungen durch Corona finanziert?

Thorsten Müller: Einmalmasken haben vorher 3 Cent gekostet und dann sind die Preise explodiert. Bis 1,80 Euro pro Stück. Zurzeit fallen die Preise wieder stark. Der Gesetzgeber hat durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (COVID-19-KHEntlG) finanzielle und organisatorische Maßnahmen für stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen beschlossen.

Der Antrag für die Erstattung der Mehrkosten (z. B. persönliche Schutzausstattung) und Mindereinnahmen ist bei einer vom Landesverband benannten Pflegekasse des Versorgungsvertrages in der Regel zum Monatsende zu stellen. Einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik ist, dass das Bundesgesundheitsministerium Einmalausstattungen über die Bundeswehr gekauft hat, da der Markt leergefegt war. Das ist eigentlich die Aufgabe der Einrichtungen und nicht des Staates! Diese hätten eigentlich selbst vorsorgen müssen. Das Material wurde dann zentral verteilt z. B. über die AOK. Das ist auch nicht die Aufgabe der AOK oder des Staates. Es ist jedoch gut, dass so gehandelt wurde. Das hat den Pflegeinrichtungen geholfen.

Wie ist der Weg der Finanzierung der Corona-Zusatzkosten in Pflegeheimen?

Thorsten Müller: Der Antrag für die Erstattung der Mehrkosten (z. B. persönliche Schutzausstattung) und Mindereinnahmen ist bei einer vom Landesverband benannten Pflegekasse des Versorgungsvertrages in der Regel zum Monatsende zu stellen.

Ein großes Dilemma besteht für die Pflegeheime im Hinblick auf die Besuche von Angehörigen der Bewohner:

Einerseits besteht die Gefahr, dass Besucher den Sars-Cov-2-Virus in das Pflegeheim einschleppen, andererseits brauchen die Bewohner soziale Kontakte für ihr psychisches Wohlbefinden. Wie sehen Sie das?

Thorsten Müller: Ja, als die Besuche eingeschränkt wurden führte dies zu einem tiefen Misstrauen der Angehörigen, dass ihre Angehörigen nun schlechter versorgt werden. Das war das größte Problem für meine Kollegen. Dann hat der MDK auch noch die Kontrollbesuche ausgesetzt. Das hat bei vielen Angehörigen zu Ängsten geführt. Der Großteil der Pflegeheime haben das aber toll gelöst z. B. über Balkonbesuche oder virtuelle Kontakte über Tablets.

Meine Schwiegermutter ist auch im Pflegeheim. Die Betreuerin hat ihr ein Tablet gegeben und dann haben wir uns darüber unterhalten. Das kann man natürlich nur kognitiv fiten Bewohnern machen. Schwierig wird es bei dementiell Erkrankten. Als die Besucher mit dem Mundschutz kamen, wurde es für die Bewohner mit Demenz besonders schwierig, weil sie das gar nicht einschätzen konnten. Viele Bewohner hatten auch das Gefühl unter der Maske zu ersticken. Für uns alle war diese Situation neu. Es ging immer wieder darum kreative Lösungen zu entwickeln.

Was ist Ihr Fazit im Umgang mit der Corona-Pandemie für Pflegeheime?

Thorsten Müller: Als erstes die Hygieneregeln einzuhalten, so wie wir es als Pflegefachpersonen in der Ausbildung gelernt haben. Das dies wirkt, zeigt auch der Rückgang von anderen Infektionskrankheiten wie z.B. der Noro-Virus. Seit wir uns an die Corona-Regeln halten gibt es in den Einrichtungen, die ich kenne, keine Ausbrüche des Noro-Virus mehr. Deshalb finde ich es auch fatal, wenn sich Kollegen in den sozialen Medien gegen die Corona-Maßnahmen aussprechen. Als Pflegefachpersonen müssten sie wissen, wie Hygieneregeln funktionieren und wie wichtig sie sind für den Schutz unserer Bewohner und Patienten.

Petra Weber: Herr Müller, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

26.8.20