Die neue Blankoverordnung: Mehr Rechte für die Pflege oder nur ein weiteres Feigenblatt?
Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) sollte laut dem Bundesgesundheitsministerium die Kompetenzen der Pflegefachkräfte gestärkt werden. Seit dem 1. Juli 2024 ist nun die sogenannte „Blankoverordnung“ nach § 37 Abs. 8 bis 10 SGB V in Kraft getreten. Die vielfältigen Fragen rund um das Gesetz haben wir am 31. Juli 2024 in einem Expertentalk mit dem Pflegesachverständigen Thorsten Müller und Dr. Jörg Hinner als Juristen diskutiert.
Die Vortragsfolien mit vielen Antworten auf die rechtlichen Fragen stehen hier nun zum Download bereit.
Interview mit Manuela Obierai: Was bedeutet die Blankoverordnung für die häusliche Pflege in der Praxis?
Manuela Obierai, unsere ehemalige Fachschulleiterin, war viele Jahre als Pflegedienstleitung in der häuslichen Krankenpflege tätig. In dem Interview mit Petra Weber (Akademieleitung) beleuchtet sie das Gesetz aus ihrer Erfahrung als PDL eines ambulanten Pflegedienstes.
Petra Weber: Was bringt die neue Blankoverordnung den Pflegediensten in der Praxis?
Manuela Obierai: Der Begriff Blankoverordnung ist meiner Meinung nach irreführend. Auch bei der Blankoverordnung handelt es sich weiterhin um eine ärztliche Delegation. Die Ärzte müssen nach wie vor die Notwendigkeit der zu erbringenden Leistung feststellen und dies mit der entsprechenden Diagnose begründen. Neu dabei ist nun, dass sie die Festlegung der Dauer und Häufigkeit delegieren können. Dies ist zwar ein erster Schritt, bringt aber noch nicht allzu viele Vorteile im Alltag der häuslichen Pflege.
Petra Weber: Viele sehen in der Blankoverordnung eine Aufwertung der Pflege. Ist das so?
Manuela Obierai: Ich persönlich kann hier noch keine echte Aufwertung der Pflege erkennen. Wenn die Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie festlegt, dass „Kompressionsstrümpfe beidseitig an- und ausziehen“ einmal täglich vergütet wird, ist es meines Erachtens egal, wer es aufschreibt. Eine Versorgung über den in der Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie festgelegten Rahmen muss dann der oder die Verordnende begründen. Hinzu kommt, dass nach derzeitigem Stand (August 2024) laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Blankoverordnungen noch nicht bundesweit umsetzbar sind. Grund ist, dass dafür teilweise noch die Rahmenverträge zwischen den Krankenkassen und Pflegeverbänden auf den Landesebenen fehlen. Hier müssen also unbedingt die Vergütungen verhandelt und geregelt werden. Es muss sich für die Pflege auch lohnen, diese zusätzliche Leistung und den damit verbundenen Dokumentationsaufwand zu erbringen.
Petra Weber: Wo könnten die Chancen der Blankoverordnung liegen?
Manuela Obierai: Eine Chance sehe ich in der Kommunikation. Die Blankoverordnung ist die Gelegenheit für Ärzte und Pflegefachkräfte, ihre Therapie- und Pflegeziele abzugleichen und patientenorientiert die Versorgung gemeinsam zu planen. Dies wäre eine echte Kommunikation auf Augenhöhe. Oft ist es jedoch die gängige Praxis, dass Folgeverordnungen von den Pflegefachkräften in die Feder der Medizinischen Fachangestellten diktiert werden und der Arzt unterschreibt. Selten erfolgt hier eine Rückfrage des Arztes. In der Praxis hat also die Pflege schon längst die Kompetenz übernommen.
Petra Weber: Was ist das Fazit zur Blankoverordnung?
Manuela Obierai: Mein persönliches Fazit zur Blankoverordnung: Die Bundesregierung signalisiert ihren Willen, die Kompetenzen der Pflege zu stärken, agiert aber weiterhin sehr zögerlich. Das ist schade. Examinierte Pflegefachkräfte haben grundsätzlich die fachliche Kompetenz, pflegerische Entscheidungen selbst zu treffen und zu verordnen. Die Berufsverbände müssen deshalb weiterhin darauf hinwirken, dass die Rechte der Pflege gestärkt werden. Es zeigt sich auch hier wieder, dass wir Pflegefachkräfte eine stärkere Stimme brauchen. Als Heilberuf braucht die Pflege aus meiner Sicht unbedingt eine starke Pflegekammer. Aber das ist ein anderes Thema.
Weitere Informationen über dieses und ähnlichen Themen gibt es auch in unseren Weiterbildungen für Leitungskräfte:
Pflegedienstleitung eines ambulanten Dienstes / Verantwortliche Pflegefachkraft nach § 71 SGB XI
Geprüfte/r Fachwirt*in im Gesundheits- und Sozialwesen - Bachelor Professional
Einrichtungsleitung / Heimleitung nach der Landespersonalverordnung Baden-Württemberg